Schubertkino Graz - 27/28 Septemper 2019
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Brauchen wir Film?


Ivette Löcker

Für mich stellt sich die Frage anders: Was kann Film, was können Dokumentar- oder Spielfilme beitragen, um uns etwas Neues über unsere Gesellschaft zu sagen? Ich finde, wir brauchen Film, um Erkenntnisse über unser Leben auf sinnliche Weise zu erfassen. Wir brauchen Filme, die unseren Intellekt und unser Herz berühren und die unseren Horizont erweitern.

Alexander Gratzer

Ich finde, eine Idee auf filmische Weise umzusetzen ist ein geniale künstlerische Möglichkeit, um die eigenen Gedanken und Perspektiven auszudrücken und anderen mitzuteilen. 

Á la Loriot gesagt: Ein Leben ohne Kunst wäre wohl möglich, aber tendenziell sinnlos.

Leni Gruber

Film hat das Potenzial uns herauszufordern. Er kann uns mit ungewohnten Sichtweisen auf die Welt konfrontieren und uns dadurch zum Nachdenken anregen. Das klingt sehr pathetisch - doch jedes Mal, wenn ich aus dem Kino komme und ein Film noch Stunden/Tage oder Wochen an mir weiternagt, wird mir bewusst, was Film im Stande ist zu leisten. 

Wie ist deine Beziehung zum Medium Film? 


Ivette Löcker

Mich fasziniert, wie vielschichtig Film als künstlerisches Ausdrucksmittel ist. Gerade im Dokumentarfilm gibt es ja einerseits einen Wirklichkeitsbezug, andererseits eine subjektive Sicht und Interpretation von Welt. Diese Spannung und das visuelle Moment, das ja sehr viel mehr beinhaltet als Sprache oder Text, machen Film für mich und meine Vorstellungen zu einem idealen Ausdrucksmittel.

Alexander Gratzer

Oft intensiv, manchmal distanziert, meistens liebevoll.

Leni Gruber

Aktuell studiere ich Buch und Dramaturgie an der Wiener Filmakademie. Neben dem Schreiben inszeniere ich auch eigene Kurzfilme.  

Wie bist du zum Film gekommen? Was fasziniert dich bis heute?


Ivette Löcker

Für den Dokumentarfilm „Pripyat. Alltag in der Tschernobyl-Zone“ von Nikolaus Geyrhalter habe ich die Gespräche mit den Protagonist*innen geführt und dabei entdeckt, dass mir das sehr liegt, Menschen zu befragen und ihren Erzählungen zuzuhören. Während meines Russisch-Studiums habe ich mich schon intensiv mit autobiografischem Schreiben auseinandergesetzt und über Lebensgeschichten. So wurden die Interviews für mich zu einer Erweiterung dieser Auseinandersetzung, mit filmischen Mitteln. Es ist toll, Menschen näherzukommen und in Lebenswelten einzutauchen, die man sonst nicht kennenlernen würde. Ich habe außerdem bereits als Jugendliche begonnen zu fotografieren und liebe es, die visuelle Gestaltung mitzubestimmen. 

Alexander Gratzer

Im Jahr 2015 besuchte ich während meines Studiums (Malerei an der Universität für Angewandte Kunst) eine Lehrveranstaltung zum Thema Animationsfilm. Die allererste Szene die ich jemals animierte stellte zwei Figuren dar, die sich gegenseitig mit schwungvoller Bewegung Hüte auf die Köpfe warfen. Von diesem ungeahnten neuen Schwung war ich sofort begeistert. Kurze Zeit danach kaufte ich mir ein Grafiktablett samt Stift und Aufnahmegerät und animierte meinen ersten richtigen Film: ein Geburtstagsgeschenk zum 50er für meinen Vater. Von da an verliebte ich mich in das Filmemachen.

Bis heute faszinieren mich der Moment, in dem ein Film, der gerade noch im privaten Kämmerchen unter meinen eigenen Augen entstanden ist, plötzlich vor Publikum aufgeführt wird und ich merke, dass dem Publikum die Stellen am besten gefallen, die ich eigentlich streichen wollte.

Leni Gruber

Ehrlich gestanden führte für mich als Tochter eines Regisseurs kein Weg am Medium vorbei. Auch das Jugendfilmfestival YOUKI in meiner Heimatstadt Wels ermöglichte mir bereits in jungen Jahren in die Welt des Films einzutauchen. Seither fasziniert mich die Möglichkeit durch den Raum der Imagination wichtige Fragen und Themen unserer Zeit verhandeln zu können. 

Was würdest du jungen Filmschaffenden raten?


Ivette Löcker

Es gibt von Robert Bresson das schöne Zitat „Mach sichtbar, was vielleicht ohne dich nie wahrgenommen worden wäre“ - das würde ich jungen Filmschaffenden raten: am eigenen Weg festzuhalten und danach zu suchen, was die Besonderheit der eigenen Sichtweise ausmacht. Es ist außerdem wichtig, sich Kollaborateure für die eigenen Projekte zu suchen, Menschen, die ähnliche Ansichten übers Filmemachen teilen, mit denen man sich austauscht und gemeinsam Filme realisiert. Film ist Teamarbeit, an der man wachsen kann. 

Alexander Gratzer

Mein Paradetipp Nummer Eins lautet: Wenn dir einmal die Ideen ausgehen, dann setzt dich in eine Wiener Straßenbahn und horch und schau. Die Ideen werden beim Fenster hereinfliegen wie stürmische Vögel. 
Und: Begegnet dem Ernst des Lebens ab und an mit ein einer Prise Humor.

Leni Gruber

Ich denke, es ist wichtig, jenseits von bloßem Storytelling oder dem Aneignen von ästhetischen Fähigkeiten, seine Antennen für Nuancen und Zwischentöne zu schärfen. Oft sind es die kleinen Geschichten oder Gesten, die das Leben und das Kino erst ausmachen.  

Ein Film der dich inspiriert? 


Ivette Löcker

Ich möchte zwei Filme nennen, die mich auf unterschiedliche Weise inspiriert haben: „Gambling, Gods & LSD“ von Peter Mettler, ein visuell beeindruckender Filmessay, der heterogenes Material, Orte, Menschen zu einer spannenden Suche nach Formen von Glück zusammenbringt; und „Winter Adé“ von Helke Misselwitz, in dem wir über großartige Porträts von Frauen zugleich etwas über die gesellschaftliche Verfasstheit der DDR 1987 erfahren. 

Alexander Gratzer

Einer der ersten Filme, der mich nachhaltig beeindruckt hat, ist Das Weiße Band (2009) von Michael Haneke. Als die Schulvorführung damals vorbei war, konnte ich erst einmal einige Zeit nicht zum gewohnten Alltag übergehen, weil ich so berührt war. Derzeit inspirieren mich Filme, die von spannungsreichen zwischenmenschlichen Beziehungen erzählen, etwa Toni Erdmann (2016) von Maren Ade. Dann gibt es wieder Phasen, wo ich mich am Liebsten von den skurril, stilisiert – surrealen Filmen von Roy Andersson auf Ideen bringen lasse, z.B A Pigeon Sat on a Branch Reflecting on Existence (2014).

Leni Gruber

Saute ma ville von Chantal Akerman.

Sind Filmfestivals wichtig?


Ivette Löcker

Ja, keine Frage! Festivals sind wichtig, weil Filme ein Publikum und die große Leinwand brauchen. Sie sind auch soziale Ereignisse und eröffnen damit Erfahrungsräume, die den Diskurs über Filme und das Filmemachen voranbringen können. Außerdem sind Festivals in gewisser Weise ein Refugium für Filme, die es ansonsten schwer haben, in Kinos gezeigt zu werden, weil sie nicht den gängigen Vermarktungsstrategien entsprechen. 

Alexander Gratzer

Absolut, für mich aus mehrerlei Hinsicht: Festivals zeigen in der Regel stilistisch äußerst facettenreiche Filme junger FilmemacherInnen, die sonst dem Publikum verborgen bleiben würden. Sie sind ein idealer Treffpunkt für interessierte Menschen mit unterschiedlichen Backgrounds und bieten Platz für Diskussionen und reges Kennenlernen.
Und: Nirgendwo sonst kann man so traumhaft Karaoke singen wie auf Filmfestivals.

Leni Gruber

Ich schätze Filmfestivals als einen einzigartigen Ort der Begegnung: das kollektive Kinoerlebnis, der Dialog zwischen FilmemacherInnen und dem Publikum sowie die Möglichkeit einem Film zu begegnen, den man sonst kaum zu Gesicht bekommen würde.